Die Überschrift dieses Blogeintrags stammt nicht aus meiner Feder, sondern ist Titel und Textzeile eines Songs von Herbert Grönemeyer. Jetzt im März, wo uns der Winter zwar schon verlassen, der Frühling aber noch nicht fest eingezogen ist, spricht er bestimmt vielen von uns aus der Seele. Weg aus dem grauen Alltag, rein in grüne Tropenwälder gespickt mit üppiger Blütenwelt.
Nach der Lektüre diverser Prospekte und Beilagen meiner abonnierten Printmedien kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Exotik auf Tapeten und Vorhägen bei einem breiten Publikum angekommen ist. Interio nennt seine heurige Sommerkollektion TROPICANA, in der Freizeit titelt ein Artikel Dschungelfieber.
Bei IKEA gibt es jetzt eine limitierte Kollektion namens TILLFÄLLE ganz in blau und grünen Farben gehalten, die den Kunden direkt in die Urwälder Brasiliens entführt.
Im Designbereich verfolgen wir diesen Trend schon länger. Der Modedesigner Matthew Williamson entwirft seit einigen Jahren für die englische Traditionsmarke Osborne & Little wunderbare Stoffe und Tapeten, die jede Saison andere, aber doch konsequent exotische Pflanzen sowie wildlebende Tiere als Leitmotiv haben. Seit neuestem arbeitet er auch mit der Polstermöbelfirma Duresta zusammen.
Das scheint wie ein Gegenkonzept zum Wegfahren. Holen wir den Urwald heim. Was uns aber den Urlaub so verlockend erscheinen lässt, ist nicht nur das Erforschen fremder Kulturen und Klimazonen, sondern, seien wir ehrlich, das Ausbrechen aus dem Alltag, das Austauschen täglicher Routinen gegen fertig gekochtes Essen im Hotel oder Restaurant statt „Mama, was gibt es heute?“ und „Was möchtet ihr gern essen?“ und „Egal“ bis „Ach, schon wieder das“.
Meeresbrise im Nacken und Lieblingslektüre in Händen statt Ausräumen der Waschmaschine zum Schnurren des Wäschetrockners.
„Monotonie ist wie ein Schuss ins Knie, und weiter bringt sie einen nie“, singt Grönemeyer im selben Song. Also raus, hinein ins Abenteuer. Angenommen die Kinder unterliegen keiner Schulpflicht, wir alle müssen keiner lokal gebundene Berufstätigkeit nachgehen, über Geld spricht man nicht, man hat es, und Routinearbeiten im Haushalt erledigt das Personal. Dann fliegen wir auf unbestimmte Zeiten in unerforschte Wälder, kosten fremde Speisen, schlafen unter blauen Himmeln. Bis uns das Reisen zur Routine wird, wir die Nase voll haben vom Fliegen und dann endlich ankommen wollen. Wenn wir uns selbst gefunden haben, dann sind wir da, aber wo? Zuhaus?
Damit sind wir tief drinnen in den tiefenphilosophischen Fragen eines Interior Design Blogs.
Am 25. März vor 15 Jahren standen mein Liebster und ich unter einer Chuppah, einem Baldachin, der im Rahmen einer jüdischen Hochzeit das zukünftige Haus des frisch vermählten Paares symbolisiert. Unser lieber Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg, der sich heuer in den Ruhestand zurückziehen will, hat uns getraut. Es war eine fröhliche, mit Witzen aufgelockerte Trauung, rührend in Erinnerung an Trauriges, das dem jüdischen Volk passiert ist und wegen persönlicher familiärer Verluste sowie in erster Linie glücklich und voller lehrreichem Tiefgang. Der Oberrabbiner erklärte die Symbolkraft des Trauungsrituals, dass wir jetzt zu einem Ganzen (Paar) werden, dass die Chuppah unser Haus darstellt, dass uns ein solches je nach unserem Geschmack jeder Architekt, jede Architektin bauen kann. Ein Haus können sie uns bauen, nach unseren Vorstellungen und Plänen, aber ein Zuhause, und wir, wenn auch jung, haben die Botschaft verstanden, könnten nur wir daraus machen. Daran sollten wir arbeiten, das ist der Weg zum Ziel. Ein Zuhause.
Wir haben uns sehr bemüht. Wir haben uns vermehrt, der daraus resultierende Lärmpegel bei uns hat Persönlichkeit. Ich bin Interior Designerin geworden. Seither kann ich geschäftlich begründen, warum wir eine neue Tapete, chice Vorhänge oder ein neues-altes Möbelstück brauchen. Alles trägt unseren Stempel, alles spiegelt unsere Vorlieben. Wir teilen unser Zuhause mit Gästen, wir feiern unsere Feste daheim, wir laden die Menschen, die uns viel bedeuten, oft zu uns. Ich koche in einer Küche, die mein Tischler nach meinen Gewohnheiten gebaut hat. Das Geschirr erzählt Geschichten, sei es, weil es aus meiner Sammlung von Keramiken der 1920-40er stammt, sei es aus meinem Leben (Rimon Pottery). Trotz meiner Leidenschaft für kalte Farbtöne wärmt mich mein Zuhause.
Und dennoch verreise ich gern, ich esse so gern Essen, das andere für mich gekocht haben, ich inspiriere mein Fantasie so gern durch Farben, die unsere Natur zuhause nicht bietet, durch Formen, die in unseren Breiten ungewohnt sind, durch Gerüche, die man nicht alltäglich trifft. Ich schleppe gern Erinnerungsstücke von fernen und nahen Reisen nach Hause. Mein Liebster würde jetzt anfügen, er kommt hier nur indirekt zu Wort, dass wir trotz dieser Leidenschaft verheiratet sind.
Lieber Herbert, größter Philosoph unserer Zeit, ja, wir brauchen ein Zuhaus. Aus vielen Gründen. Den wichtigsten Grund kann ich perfekt mit einem jiddischen Wort beschreiben: es heißt „haimish“. Das Jiddische ist eine aussterbende Sprache, ursprünglich die Sprache der Ashkenazen (deutschstämmigen Juden), wird aber in neuerer Zeit zusehends durch die Landesprachen, die die Muttersprachen der Juden geworden sind, und das Modernhebräische, der Landessprache Israels, ersetzt. Es ist aber (zumindest noch) eine Herzenssprache, die Gefühle perfekt artikuliert. „Haimish“ haben wir unser Zuhause gemacht, mit Dingen, die uns aus dem Herzen kommen, mit unseren Traditionen, mit unserem Essen, mit dem, was wir auch als Individualisten dem Trend folgend in unsere Häuser holen. Unsere Kinder werden dieses Zuhause mitnehmen hinaus in ihr Leben, wohin es sie auch verschlägt, und wenn sie sich dann an Tapeten mit Urwaldmotiven erinnern, dann wird das Teil ihrer Heritage sein, aus der sie dann später ein Zuhause bauen werden.
So betrachtet sind Tapeten also durchaus wichtig, bei der Auswahl bin ich gern behilflich.